Die evangelische Dreifaltigkeitskirche im Kölner Stadtteil Ossendorf wurde von 1961-63 vom Architekten Georg Rasch (1920-1968) als schlichter Beton-Saalbau mit tief heruntergezogenem Satteldach erbaut, gelegen auf einem Eckgrundstück mit Kirchvorplatz, Campanile und begleitendem Pfarr- und Gemeindehaus. Dem Kirchturm ist auf seiner Rückseite ein idyllischer „Dorf“-Platz mit dem sogenannten Schnüsse-Trinn-Brunnen vorgelagert, der dem Heimatdichter und Karnevalisten Joseph Roesberg und seinem Karnevalslied von der selbstbewussten Magd
Katharina („Trinn“), mit ihrem großen Mundwerk („Schnüss“) gewidmet ist.
Trotz dieser städtebaulichen und regionalhistorischen Einbindung der Kirche entschied sich 2019 die evangelische Gemeinde Bickendorf zur Entwidmung der Kirche und zum Verkauf an einen Investor, der einen Abriss und die Bebauung mit einem Wohnkomplex plante. Diesem für Nachkriegskirchen nur allzu bekannten Abwicklungsschema kam David Kropp als Leiter eines Aikido-Studios für asiatische Kampfkunst und Mediation zuvor, indem er sich als weiterer Interessent für das Kirchengebäude mit einem überzeugenden Nutzungsplan ins Spiel brachte: Er wollte den Nachkriegskirchenraum zu einem Aikido-Studio umnutzen und entsprechend umbauen. Die Gemeinde willigte ein und verpachtete ihm die Kirche für 30 Jahre. David Kropp konnte den Kölner Architekten Paul Böhm für den sensiblen Umbau gewinnen, der von 2020 bis 2022 erfolgt ist.
Am 18. Mai 2022 wurde die zum Aikido-Dojo transformierte Nachkriegskirche in Köln-Ossendorf der interessierten Öffentlichkeit mit einer Führung durch den Besitzer David Kropp, den Architekten Paul Böhm und mich als Kunsthistorikerin vorgestellt. Mit über 100 Leuten, die sich auf dem Kirchvorplatz versammelten, war das Interesse und die Neugier an der umgenutzten Kirche sehr groß: Neben Fachleuten aus Kunstgeschichte, Architektur und Denkmalpflege kamen viele ehemalige Gemeindemitglieder, Aikido-Trainierende sowie auch Bewohner des Stadtviertels hinzu, so dass tatsächlich so etwas wie Diversität gewährleistet war.
Bei der erläuternden Betrachtung von Außenbau und Innerem stellte sich heraus, dass von der ursprünglichen Baugestalt der Kirche optisch gar nicht so viel verändert worden sei – kleine strategische Eingriffe des Architekten ermöglichten eine große Wirkung, wie z.B. der Einbruch von jeweils zwei kleinen Fenstern neben dem großen Fenster in der Haupt- und Rückfassade, der mehr Licht und das Grün der Bäume ins Innere holte. Die ursprüngliche dunkle Holzpergola mit Vorhalle vor der Hauptfassade wurde entfernt, so dass der Blick nun direkt auf die Kirchenfassade mit ihrer hölzernen Eingangstür sowie dem neuen Seiteneingang aus hellem Holz fällt.
Im leeren Inneren des Kirchenraums ist die ursprüngliche Ost-West-Ausrichtung der Hauptachse durch die Entfernung von Altar, Kanzel und Taufbecken vor der ehemaligen Altarwand aufgehoben. Stattdessen steht vor Nordwand im östlichen Bereich ein japanische Blumengesteck mit einem Rollbild und der Aufschrift „Do Jo“ („Weg – Ort“). Der gesamte Fußboden ist mit Tatami-Matten ausgelegt, die mit ihrem Maß von 1 x 2 m den Raum proportionieren und ihm einen harmonischen Untergrundverleihen. Betreten darf man diesen übrigens nur ohne Schuhe – auch das eine neue Regelung, die man ruhig auch als achtsames Ritual deuten kann. Über die gesamte Südseite verläuft die ehemalige Sänger- und Orgelempore, die der Architekt mit einer
semitransparenten Kumiko-Wand aus duftendem Zirbenholz geschlossen hat. Hinter dieser dekorativen hölzernen Membran liegen die Umkleideräume des Dojos, die zum Hauptraum geschützt sind, gleichzeitig aber eine optische und akustische Verbindung zum diesem bieten.
Meine These der hohen Transfomationsfähigkeit von Nachkriegskirchen aufgrund ihrer funktionalen Ästhetik und Flexibilität konnte mit der Aikido-Kirche untermauert werden: Die Ästhetik der Reduktion der ehemaligen Dreifaltigkeitskirche in Köln-Ossendorf kann hier ohne viel Verlust oder Brüche in die Zen-Ästhetik der Leere und Meditation übertragen werden. Die Erinnerung an die Kirche und die christliche Religion bleiben erhalten, die sowieso schon sehr weit gefasste Symbolik des sakralen Ortes und seiner Besonderheit werden in den neu entstehenden öffentlichen Ort für Aikido-Training transformiert. Dirk Kropp und Paul Böhm planen übrigens noch eine kleine Kapelle auf dem Vorplatz der Kirche, der als transreligiöser
Meditationsraum eingerichtet werden soll. Am Ende standen zwei Zitate aus vollständig unterschiedlichen Epochen und Kulturkreisen, die das uralte menschliche Bedürfnis nach der „Kraft der Leere“ verdeutlichen mögen:
„Die richtig geformte Leere von Raum und Fläche ist keine bloße Negation der
Bildlichkeit, sondern deren Gegenpol. Sie verhält sich zu dieser wie das Schweigen
zum Wort. Sobald der Mensch für sie offen wird, empfindet er in ihr eine
geheimnisvolle Anwesenheit“.
(Romano Guardini, in: Rudolf Schwarz: Kirchenbau. Heidelberg 1960, S. 29)
Dreißig Speichen treffen die Nabe
Die Leere in der Mitte
macht das Rad
Ton formt man zu einem Krug
Die Leere in der Mitte
macht das Gefäß
Türen und Fenster bricht man in Mauern
Die Leere in der Mitte
macht das Haus
Darum: Die Form entsteht aus dem Sein
Die Verwendung aus dem Nicht-Sein
(Laotse, Tao Te King, Vom Nutzen der Leere, 4. Jh. v. Chr.)