Universität Bonn

Transformationslandschaften_DE

Transformation - Wie Räume denken?

Teilprojekt  7 Pastoraltheologie, Universität Bonn

Das Teilprojekt „Politiken der Grenze“ arbeitet aus praktisch-theologischer Perspektive an der Universität Bonn.Transformationen sind Suchbewegungen. Wie wäre ein dreidimensionales Raumverständnis in eine andere Form des Raumdenkens zu transformieren?

Raumverständnisse fußen meist auf einem Container-Denken: Der Kirchenraum ist demnach auch ein dreidimensionaler Raum. Mit dieser Vorstellung bricht das Raumdenken: Raum ist ein viel-dimensionales Geschehen aller vorhandenen Akteur*innen (Menschen, Tiere, Pflanzen, Dinge).


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© Anke Lieb-Kadge
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© Anke Lieb-Kadge

Orte und Raum

In seinem Buch „Kunst des Handelns“ (1980) entwickelt der französische Philosoph und Jesuit eine soziologische Theorie der Alltagspraktiken. Darin unterscheidet er zwischen den Begriffen „Ort“ und „Raum“. Unter einem Ort versteht Certeau „eine momentane Konstellation von festen Punkten.“ (Kunst des Handelns, 218.) Ihn macht also eine feste und stabile Ordnung aus: Jedes Ding ist an seinem Platz. Ein Ort ist in diesem Sinn von einer momentanen Stabilität geprägt. Ein Beispiel dafür sind die architektonischen Elemente von St. Cyriakus in Düren: Wände, Boden, Säulen. Zu diesem Ortsverständnis passt das Bild eines Containers: Dreidimensional und stabil.

Raum dagegen unterscheidet sich vom Ort dadurch, dass er beweglich ist. Raum und Bewegung gehen also Hand in Hand. Certeau schreibt: „Insgesamt ist der Raum ein Ort, mit dem man etwas macht. So wird zum Beispiel die Straße (…) durch die Gehenden in einen Raum verwandelt.“ (Kunst des Handelns, 218.) Räume entstehen also durch das Tun oder besser gesagt durch Praktiken, wie beispielsweise Gehen, Lesen oder Gebrauchen. Raum ist also da, wo etwas getan, benutzt oder verändert wird. Ein Beispiel dafür ist die „Eibenkapelle“ [-> Raum performieren] in Lützerath, ein Raum ohne vier Wände, der durch religiöse Praktiken den Status einer Kapelle angenommen hat. Aufgrund der Praktiken sind Räume nie stabil oder eindeutig.

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© TRANSARA

Dies ist kein Raum...

Die Abbildung des Kirchenraums St. Cyriakus in der rechten Spalte wiederholt das Bild der linken Spalte, fügt ihm aber einen wichtigen Satz hinzu: „Dies ist kein Raum.“

Der Satz spielt auf René Magrittes Bild „Der Verrat der Bilder“ von 1929 an (Bild: https://collections.lacma.org/node/239578).

„Wenn Magritte malt, dann ist entscheidend, daß er etwas tut, und durch sein Gemälde, ganz besonders dieses, ist etwas geschehen, es hat sich etwas ereignet: Magritte hat eine Pfeife auf eine Leinwand gemalt und darunter geschrieben ‚Ceci n’est pas une pipe‘ [Das ist keine Pfeife].“ (Gernot Böhme, Das ist doch eine Pfeife. Über Kunst und Werbung bei Magritte, abrufbar unter: https://www.kunstforum.de/artikel/das-ist-doch-eine-pfeife/).

Übertragbar ist das auf das Verständnis von Kirchenräumen. Mit der adaptierten Zeile von Margritte „Dies ist kein Raum“ führt das Bild in ein anderes Verständnis von Kirchenraum über. Ein Kirchenraum könnte danach etwas anderes sein als der dreidimensionale Kirchenraum, den ein Mensch betritt.

Ein Verständnis von Kirchenraum als performativer Raum nimmt die ständigen Verschiebungen in den Blick, die wir tun, wenn und indem wir etwas tun. Ein solches Raumverständnis führt auch das Verständnis von „sakral“ weiter, denn das Sakrale gibt sich nur in Beziehungen, in Ereignissen oder Performationen.

Überlegungen zu Transformationen von Sakralräumen nehmen
ihren Anfang oft in Bezug auf Gebäude als Container.
Was passiert, wenn stattdessen von den
Akteuren und Netzwerken ausgegangen wird?

Raum performieren

Diese drei Bilder zeigen Orte [-> Ort und Raum] mit denen etwas gemacht wird. Ein anderes Wort für „machen“ ist performieren. Die Bilder zeigen also Beispiele, bei denen Räume [-> Ort und Raum] innerhalb und außerhalb von Kirchenräumen performiert werden.

Oben links sehen Sie ein Bild der Ausstellung „change places“ von Sara Dietrich, die 2011 in der Heilig-Kreuz Kirche in Münster stattfand. Nach der Kirchenrenovierung wurden die Kirchenbänke für eine gewisse Zeit nicht wieder eingeräumt, stattdessen konnten Besucher*innen Sitzgelegenheiten mitbringen: Klappstühle, Sessel, Kissen und Bänke in allen Formen und Farben. Auf diese Weise wurde die Sitzordnung in der Kirche durch eine bewegliche Sitzcollage ersetzt und sich der Kirchenraum so neu angeeignet.

Das Bild oben rechts zeigt eine Aktion von Klimaaktivist*innen im Kölner Dom Anfang 2022. Vor dem Gottesdienst wiesen sie mit einem „Die-in“ unter anderem auf das Artensterben durch die Klimakrise hin. Dabei beziehen sie sich in ihrer kurzen Ansprache [https://www.youtube.com/watch?v=_43hvPCILd0] auch auf Papst Franziskus‘ Aussagen zur Klimakrise. Der symbolträchtige Dom wird durch die „störende“ Aktion mit politisch drängenden Fragestellungen und Forderungen nach artenübergreifender Gerechtigkeit verflochten.

Das untere Bild zeigt die sogenannte „Eibenkapelle“ in Lützerath (NRW). Das Dorf wurde 2023 unter großem Protest für den Kohleabbau zerstört. Die christliche Klima-Gruppe „Die Kirche(n) im Dorf lassen“ veranstaltete zuvor ihre Gottesdienste regelmäßig an dieser von Eiben umwölbten Stelle, an der vor langer Zeit ein Wegkreuz stand. Durch Benennung, gelbe Kreuze, Gebete, Kerzen und Besuch des Aachener Friedenskreuzes wurde so aus einem Gebüsch an der Straßenecke eine „Kapelle“. Auf dem Bild schützen betende Menschen diesen für sie total relevanten Raum vor der polizeilichen Räumung.

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