Universität Bonn

Transformationslandschaften_DE

Aachen-Soers,
digitalCHURCH

Networking unter Netzgewölben

Baujahr: 1905-1907
Architekt:
Eduard Endler
Denkmalstatus:
Ja

Ehem. Pfarrkirche St. Elisabeth der Pfarrei Christus unser Bruder in der GdG Aachen-Nord  / Pastoraler Raum Aachen Nord/Ost/Eilendorf im Bistum Aachen

Umbau: 2007 / 2016
Architekt:
fischerarchitekten, Aachen (2007)
Profanierung:
2016
Verkauf: 2016

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© TRANSARA

Ursprüngliche Konfession: katholisch

Eigentümer / Trägerschaft: Stadtmarken GmbH

Lage / Adresse: Jülicher Straße 72a, 52070 Aachen
Stadträumliche markante Lage auf Eckgrundstück in unmittelbarer Nähe zum Aachener Kur- und Stadtgarten


Bau

Dreischiffige Hallenkirche in historisierender, spätgotischer Formensprache

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Grundriss © TRANSARA
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Außenansicht © TRANSARA

Transformation

2016 eröffnete mit der digitalCHURCH der erste CoWorking-Space Deutschlands in einem ehemaligen Kirchenraum – seine Einrichtung verlief gewissermaßen über ,Umwege‘: Bereits 2007, als die Kirche noch immer gottesdienstlich genutzt wurde, waren ein Gemeindebüro und Versammlungsräume nach Plänen des Aachener Architekten Horst Fischer in den Bau integriert worden, da die Gemeinde ihren Kirchenraum als zu groß empfunden und nach einer Nutzungserweiterung gesucht hatte. Ohne die ursprüngliche Struktur des Gebäudes und seine Raumwirkung gravierend zu ändern, konnte das geforderte Raumprogramm unterhalb der Empore und in einem ehemaligen Kapellenraum im Erdgeschoss des Turmes untergebracht werden. Indem die bestehenden Rund- und Spitzbogenöffnungen verglast wurden, gelang es, die neu geschaffenen Räume vom Kirchenschiff abzutrennen und zugleich ihre optische Verbindung zu sichern.

Keine langfristige Lösung

Da sich das Konzept der Nutzungserweiterung langfristig nicht auszahlte, stand St. Elisabeth ab 2012 zum Verkauf. Während sich das Kirchengebäude noch im Besitz der Gemeinde befand, diente es von 2014 bis 2015 als Zweigstelle des Kerkrader Continium Discovery Centre mit Ausstellungs- und Forschungsflächen für Kinder und Jugendliche. Nach der Profanierung von St. Elisabeth im Jahr 2016 zog dann für einige Monate das urbane Kulturhotel Hotel Total in die Räumlichkeiten ein. Dabei handelte es sich um ein vom Land Nordrhein-Westfalen finanziertes Projekt, das Langzeitarbeitslose und Flüchtlinge in den Einbau von Kuben, die als „Übernachtungsboxen“ dienten, und die Betreuung der Hotelgäste einbezog. Noch im selben Jahr fand sich mit dem Aachener Investor und Vorstand der Landmarken AG Norbert Hermanns schließlich ein Käufer für die ehemalige Kirche, die seit Juli 2017 als CoWorking-Space genutzt wird.

Arbeiten und feiern in ungewöhnlicher Atmosphäre

Gemeinsam mit der vom Land Nordrhein-Westfalen geförderten Initiative digitalHUB Aachen e.V. entwickelte der Investor 2017 schließlich das Konzept der digitalCHURCH, die als Standort des digitalHUB als CoWorking-Space von Start-Ups, mittelständischen Betrieben und Industrie genutzt werden kann. Darüber hinaus dient der Raum als Begegnungs- und Veranstaltungsstätte für öffentliche wie private Feiern und Events und lockt Interessierte bisweilen mit ungewöhnlichen Angeboten wie etwa Bier-Yoga in das ehemalige Kirchengebäude.


Raum

Die ehemalige katholische Kirche St. Elisabeth am Aachener Blücherplatz wurde 1907 nach Plänen des Kölner Architekten Eduard Endler als dreischiffige, neogotische Hallenkirche errichtet. Mit seinen Maßwerkfenstern, teilweise gedrehten Säulen und einem Netzgewölbe im Inneren erinnert das Gebäude, dessen Werksteinfassade aus Sandstein gefertigt wurde, an die Spätgotik aus der Mitte des 15. Jahrhunderts. Nach Südosten hin schließt der Raum mit einem halbrunden Chor ab, im Nordosten ist der Kirche ein hoher Turm angegliedert. Nach Zerstörungen im Zweiten Weltkrieg erfolgte im Jahre 1951 der Wiederaufbau von St. Elisabeth.

Reversibel und mobil, spartanisch und bequem

Lange, schmale Arbeitstische im Mittelschiff bilden das Herzstück des CoWorking-Space und nehmen die Raumstruktur der Kirche auf. Reversible Einbauten, die zwischen die Säulen des Mittelschiffs gesetzt wurden, bilden zudem geschlossene Arbeitsräume. Einzelne, kleinere Schreibtische, die auf Rollen gelagert und mit Trennwänden aus Spanplatten zu drei Seiten hin ausgestattet sind, erweitern das Angebot um ,mobile Arbeitsräume‘. Weitere Arbeitsräume, aber auch Ruhezonen können je nach Bedarf in den Seitenschiffen eingerichtet werden. Der ehemalige Chor dient heute als Lounge-Bereich inklusive Bar und einer bequemen Möblierung. Der über der Theke angebrachte, rot leuchtende Elysée-Schriftzug stammt vom Aachener Elysée-Kino am Theaterplatz, das sich ebenfalls im Besitz der Landmarken AG befand und 2017 abgerissen wurde. Bereits während der Interimsnutzung als Hotel war der ehemalige Chorbereich von St. Elisabeth einer ähnlichen Bestimmung zugekommen und als „Gloria-Bar“ genutzt worden.

„Networking unter Netzgewölben“

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Foyer der digitalCHURCH, 2024 © TRANSARA

Die Transformation zum CoWorking-Space erfolgte unter Rückgriff auf die baulichen Veränderungen, die bereits 2007 im Inneren des Kirchengebäudes erfolgt waren. So dient der Raum unterhalb der Empore heute als Foyer und die bestehende Sanitäranlage konnte ebenfalls übernommen werden. Erneute Eingriffe in die bauliche Substanz blieben dadurch aus, einzig ein Holzboden sorgt für die nötige technische Erschließung. Als ,Markenzeichen‘ des CoWorking-Space dient das prächtige Netzgewölbe, welches in seinem offiziellen Logo abstrahiert dargestellt auf die Möglichkeit des Networkings innerhalb der digitalCHURCH verweist.

„Geschichtsträchtige, denkmalgeschützte Relikte“

Seit 2016 steht nicht mehr nur das Kirchengebäude samt seiner erhaltenen, sakralen Ausstattung unter Denkmalschutz, sondern auch der sogenannte Design-Kubus Raum hoch zwei des spanischen Künstlers ElDimitry, der im Rahmen der Hotelnutzung eingebaut wurde und eine moderne Interpretation der biblischen Geschichte von Adam und Eva zeigt.

Die historische Bedeutung der Architektur wird auf der Website des digitalHub auch mit einer aufwändigen virtuellen ,Führung‘ durch den Raum repräsentiert.

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ElDimitry, denkmalgeschützter Design-Kubus Raum hoch zwei, Darstellung einer modernen Interpretation der Geschichte von Adam und Eva, 2022 © TRANSARA

Sakral

Trotz Profanierung sind religiöse Ausstattungsstücke im Raum verblieben, so beispielsweise die Kanzel im Mittelschiff, eine Marienstatue und ein Seitenaltar. Sie werden von der neuen Einrichtung ästhetisch nicht aufgenommen, das Nebeneinander von sakraler Kunst und eher unordentlichen Alltagsgegenständen irritiert. Der Innenraum der digitalCHURCH wirkt im Gesamteindruck nach wie vor wie eine Kirche, wenn gleich der ursprüngliche Raumeindruck durch die kubischen Einbauten getrübt wurde. Die erhaltenen Buntglasfenster und der freie Blick ins Gewölbe zeugen dafür umso mehr von der einst sakralen Nutzung des Gebäudes.

Diese Anmutung wird in der Außendarstellung des Unternehmens offensiv ins Spiel gebracht. Dabei werden Narrative der Gemeinschaft bedient, die sich im Gegensatz zu einer - durch die Nutzung und Sicherung der Technik notwendigen - Schließung des Gebäudes für den öffentlichen Besuch bewegt. Immerhin erlauben das Foyer und die digitale Präsentation einen Einblick in den Raum für alle Interessierten.

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Heutzutage bleibt die Kanzel leer, 2022 © TRANSARA
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Erhaltener Seitenaltar mit Marienfigur, 2022 © TRANSARA

TRANSARA-Perspektiven

Aus Sicht der Liturgiewissenschaft hinterlässt die Umnutzung keinen positiven Eindruck bezüglich des Umgangs mit dem Raum. Die ehemaligen kirchlichen Einbauten erscheinen musealisiert, vernachlässigt, zusammenhanglos und unreflektiert. Das Projekt erzeugt den Eindruck, nicht zu Ende entwickelt worden zu sein. Nach der Entscheidung der Neuzuordnung von Verantwortlichkeiten wirkt keiner der vorhergehenden Akteure mehr an einer Weiterentwicklung im Sinne einer würdigen Raumnutzung interessiert. Zudem fehlt es an einer klar ersichtlichen Kommunikation der neuen Nutzung am Außenbau. Das Aufgreifen des kirchlichen Prozessionscharakters durch die Aufstellungsform der Arbeitsplatzstraße bedient traditionelle Lesarten des Raums. Spannender wäre es, durch radikale Richtungswechsel einen dynamischen Dialog anzustoßen.

  • Die digitalCHURCH lässt sich dem Typus „Ablösung“ innerhalb der Hybriditätstypologie zuordnen, deutlich allerdings mit impliziter Hybridität. Diese zeigt sich zum einen in der Raumstruktur, die nur wenig durch Einbauten o.ä. verändert wurde, sodass der Raum als Sakralraum erkennbar bleibt, aber auch im Bezug auf den sakralen Charakter in der Selbstpräsentation und Vermarktung.
  • Im Vergleich zu den vorangegangenen Nutzungen (Beispiel Hotel Total als sozialdiakonisches Projekt) oder alternativen Nutzungsideen (Caritas-Büro) reizt der CoWorking-Space das Potenzial einer an die bisherige Nutzung anschließenden und öffentlichen Verwendung nicht aus.

Mit der Umnutzung und dem reversiblen Umbau der neugotischen Innenstadtkirche St. Elisabeth in Aachen zum CoWorking-Space digitalCHURCH ist es gelungen, einen denkmalgeschützten Kirchenraum von seiner ursprünglichen Raumästhetik her zu erhalten und gleichzeitig formal und nutzungstechnisch neu aufzuladen. So ergeben sich spielerisch-formale Kontraste zwischen den originären sakralen Orten und Ausstattungen mit den neu konzipierten digitalen Arbeitsplätzen und Pausennischen, die für eine ökologisch bewusste und das Provisorium präferierende Umbaukultur stehen können.

  • Mit dem digitalHUB Aachen e.V. wurde ein langfristiger Mietender gefunden, der die Zukunftsfähigkeit des Nutzungskonzeptes sowie den Betrieb der Liegenschaft langfristig sichert
  • Durch das langfristige Mietverhältnis profitiert der Investierende von stabilen und regelmäßig entrichteten Mietzahlungen und kann somit (zumindest teilweise) seine laufenden sowie Investitionskosten decken
  • Die digitalCHURCH kann aufgrund ihrer soliden Wirtschaftlichkeitskennzahlen als Leuchtturmbeispiel für weitere Investierende dienen
  • Trotz einer Einschränkungen der ehemals öffentlichen Nutzung werden soziale Aspekte nicht vollständig vernachlässigt; durch öffentlich zugängliche Veranstaltungen und das CoWorking-Konzept finden sozialer Austausch und Begegnung weiterhin und in höherer Intensität als zuvor statt
  • Aufgrund der Neunutzung kann aus Sicht des TP 5 davon ausgegangen werden, dass der gestiftete soziale Nutzen im Quartierskontext höher ausfällt als vor der Umnutzung, positive externe Effekte in Form von Zuzug und erhöhter Investitionstätigkeit im Stadtteil wurden laut Investor bereits beobachtet.

Links und Literatur

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