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Transformationslandschaften_DE

Markkleeberg-Zöbigker, Fahrradkirche

Radlertreff zwischen alten Kirchenmauern

Bauzeit: 1726/1883 (Erneuerung)
Architekt:
Hugo Altendorff (1883)
Denkmalstatus:
ja

Martin-Luther-Kirchgemeinde Markkleeberg-West

Wiederaufbau: 2014-2020
Architekt: W&V Architekten Leipzig
Entwidmung:
nein
Verkauf: nein

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Außenansicht mit neuem Turm, 2024 © TRANSARA

Konfession: evangelisch

Eigentümerin/ Trägerschaft: Martin-Luther-Kirchgemeinde Markkleeberg-West; Verein der Freunde und Förderer der Fahrradkirche Zöbigker e.V.

Lage / Adresse: Dorfstr. 2, 04416 Markkleeberg
Die Kirche liegt im Markkleeberger Stadtteil Zöbigker in direkter Nähe zum Cospudener See. Die Region vor den Toren Leipzigs ist durch Tourismus und Freizeit geprägt.


Bau

Saalbau mit Chorturm und eingezogenem Ostchor, seit Brand 1942 Ruine; ab 2006 denkmalgerechte Sanierung

Transformation

Ruine in neuem Glanz

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Fahrradwegweiser und Beschilderung Lutherweg vom Cospudener See aus, 2022 © TRANSARA

Aus der evangelischen Gemeinde und ihrem Umkreis kam der Impuls, die alte, verwilderte Kirchenruine nahe dem Cospudener See neu zu beleben: als Fahrradkirche, also Treffpunkt für (Fahrrad-) Tourist*innen im Leipziger Neuseenland und die Kirchgemeinde am Ort. 2010 kam es zur Gründung des Fördervereins „Verein der Freunde und Förderer der Fahrradkirche Zöbigker e.V.“. Mithilfe von tatkräftigem Einsatz, Spenden und Fördermitteln, insbesondere aus Braunkohle-Entschädigungsgeldern (Mibrag) und ehemaligem Parteivermögen der DDR (PMO-Mittel), konnte die Ruine zunächst gesichert und schließlich mit modernen Elementen denkmalgerecht wiederaufgebaut werden. Die Kirche ist für Besucher*innen mit oder ohne Fahrrad täglich geöffnet, darüber hinaus locken Gottesdienste, Konzerte, Führungen oder Angebote rund um die Themen Fahrrad und Pilgern Gemeindemitglieder und Gäste in die Fahrradkirche.


Raum

Während die ersten Spuren einer Kirche sich archäologisch bis ins 13./14. Jahrhundert zurückverfolgen lassen, stammt der Ursprungsbau der Dorfkirche in Zöbigker von 1726. Die barocke Dorfkirche fiel 1942 einem Brand zum Opfer, der in der Orgel ausbrach. Während der DDR-Jahrzehnte wurde die Ruine nicht wieder aufgebaut. Auch ging der Dorfkern von Zöbigker durch den benachbarten Kohletagebau verloren. Heute ist der Stadtteil um die Kirche herum sowohl von dörflichen Wohnhäusern als auch dem neu errichteten Hafenquartier am Seeufer mit hochpreisigen Wohnungen, Villen und touristischen Einrichtungen geprägt.

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Innenansicht, 2021 © TRANSARA

Ruine mit Zelt: Eine Kirche, ein Denkmal im Luxusviertel

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Fenster (noch) ohne Verglasung, mit Gittern gegen Vögel gesichert, 2020 © TRANSARA

Seit 2005 verfolgte ein Kreis von Engagierten aus der evangelischen Martin-Luther-Kirchgemeinde Markkleeberg das Projekt „Fahrradkirche“ und initiierte einen Wiederaufbau, der die Ruine zugleich konserviert. Dieser ist nach außen hin mit der Installation des Turms 2024 nahe am Abschluss, allein die Errichtung eines Turmkreuzes steht noch aus.

Im transformierten Kirchenbau bleibt ein gewisser „Freiluftcharakter“ erhalten und die Ruine bleibt erkennbar. Die zeltartige Dachkonstruktion aus weißen, lichtdurchlässigen Planen nimmt auf biblische Zeltsymbolik Bezug und ermöglicht Lichtinszenierungen, die die Kirche nach außen leuchten lassen.


Sakral

Sakral und profan, individuell und gemeinschaftlich, verlässlich und verletzlich

Die neu zugänglich gemachte Kirchenruine, die Fahrradkirche Zöbigker, bringt mehrere scheinbare Gegensätze in ein spannungsvolles Miteinander. Bietet sie zunächst den Vorbeikommenden ganz „profan“ eine Toilette, einen Picknickplatz und Trinkwasser, lädt sie doch auch mit offenen Türen zur Erfahrung des sakralen Raums ein. Individuelle Spiritualität von Pilgernden oder Tourist*innen findet ebenso Raum wie die Gemeinde am Ort, die in Gottesdiensten gemeinschaftliche Glaubenspraxis pflegt. Der Bau selbst schließlich symbolisiert – als historische Ruine – die Kontinuität und Verlässlichkeit der Kirche an dieser Stelle, zugleich jedoch – als Zelt – das Unterwegssein, das Vorläufige und Verletzliche der christlichen Existenz.


TRANSARA-Perspektiven

Die als Fahrradkirche titulierte wiederaufgebaute Kirchenruine ist ein Projekt, das versucht, gemeindliche, sozialräumliche und touristische Bedürfnisse sowie Denkmalpflege in Einklang zu bringen. Die Initiative zur Wiederbelebung der Ruine kam aus der Kirchengemeinde heraus. Nimmt man darüber hinaus die zum Großteil gemeindebezogenen Nutzungspraktiken in den Blick, lässt sich für die Fahrradkirche keine in unserem Sinne hybride Nutzung feststellen, sondern entspricht sie einem Typus der Kontinuität. Gleichwohl bietet die offene Kirche in der aufstrebenden Tourismusregion Chancen für Öffnung und Transformation.

Interessanter Fall einer von der Bausubstanz unbedeutenden Kirchenruine, die aber mit viel Aufwand und Bürgerengagement zur "Fahrradkirche" wiederauf- und umgebaut wurde und damit als Erinnerungsort und Landmarke im Dorf erhalten bleibt bzw. durch den Neuaufbau eines Turmes auch wieder sichtbar wurde.

Aus immobilienwirtschaftlicher Perspektive ist die Fahrradkirche ein besonderes Beispiel, da es sich um den Wiederaufbau einer Kirchenruine handelt, bei dem besonderes Fingerspitzengefühl gefragt ist. Der baukulturelle Wert einer Ruine ist nicht zu unterschätzen und sollte vor sowie nach dem Wiederaufbau gemessen werden. Die Nutzung zu Tourismuszwecken stellt hier ein wirtschaftlich sinnvolles Konzept dar, da der USP der Kirchenruine als „Pull-Faktor“ herausgearbeitet und ggf. sogar gestärkt wurde. Die Tragfähigkeit gilt es zu untersuchen. Die öffentliche Zugänglichkeit und die „Bespielung“ durch bspw. Lichtinstallationen entspricht zeitgemäßen und derzeit verstärkt nachgefragten Nutzungsbedürfnissen und sind somit positiv hervorzuheben. Es ist zudem von positiven externen Effekten auf das Quartier und somit einer positiven „Sozialrendite“ auszugehen.


Links und Literatur

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