Universität Bonn

Transformationslandschaften_DE

Leuna-Horburg, Marienkirche

Offene Dorfkirche für Pilger, Kinder und Kunstinteressierte

Bauzeit: um 1460
Denkmalstatus:
ja

Kirchengemeinde Horburg-Zweimen, Pfarrbereich Wallendorf, Kirchenkreis Merseburg

Umbau: : Turmkapelle und Versetzung der Madonnenskulptur, neue Fenster; weiterer Umbau in Planung
Architekten: DS Architects Köthen
Entwidmung: nein
Verkauf: nein

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Außenansicht, 2021 © TRANSARA

Konfession: evangelisch

Eigentümer / Trägerschaft: Kirchengemeinde Horburg-Zweimen

Lage / Adresse: Burgauenstr. 7, 06237 Leuna-Horburg
Im Leunaer Ortsteil Horburg, nahe der A9 und großen Einkaufszentren gelegen


Bau

Einschiffige gotische Saalkirche mit spätgotischem Westturm; das Kirchenschiff ist verputzt, der Turm steinsichtig

Transformation

Wenn man nach dem Beginn der Transformation fragt, dann finden sich auf der Website des Freundeskreises zwei Ausgangsimpulse, die auch die heutige Nutzung der Marienkirche prägen. Zum einen die Landesausstellung zum Naumburger Meister 2011, in der die ihm zugeschriebene Skulptur der Horburger Madonna ganz neu zur Geltung kam und sie im Ort ins Gespräch brachte. Und zweitens die Anfrage der örtlichen Kita nach einem Besuch der Kirche.

Heute ist die Horburger Kirche eines von vielen Beispielen, wie wir sie im ostdeutschen Untersuchungsraum vorfinden. Aus einer wenig genutzten und häufig verschlossenen Gemeindekirche, ist eine tagsüber verlässlich geöffnete und mit kulturellen Veranstaltungen bespielte Ortskirche geworden.

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Horburger Madonna © TRANSARA
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Offenes Eingangsportal © TRANSARA

Reaktiviert wurde durch den Verein eine alte Tradition: Im Mittelalter war die Horburger Kirche mit einem überaus lebendigen Pilgerwesen verbunden, das auch nach der Reformation anhielt – bis man die wundersame Marienskulptur zerschlug,  im Altar einmauerte und erst 1930 wiederentdeckte. Die Neueinrichtung des Ökumenischen Pilgerwegs, der auch durch Horburg führt, bot zusätzlich die Gelegenheit zum Anschluss an die frühere Tradition. Führungen für Schulklassen, Reise- und Pilgergruppen erschließen die Geschichte und Kunst des Raumes, ein gelegentliches Pilgercafé schafft Gelegenheit für Vernetzung und Begegnung. Für die vielen (zugezogenen) Familien in Horburg und den umliegenden Dörfern bieten Lesenächte, Puppentheater, gemeinsam gestaltete Konzerte und Orgelexpeditionen ein lokales Veranstaltungsangebot – häufig partizipativ gestaltet. Mehrere hundert Menschen besuchen nun jährlich die Kirche – und das Gästebuch legt Zeugnis von vielfältigem Raumerleben und unterschiedlichen Nutzungen  ab.


Raum

Die Entstehungszeit der Kirche ist nicht bekannt. Um 1250 (nach anderen Quellen um 1270) kommt die Steinskulptur der Gottesmutter nach Horburg. Um 1277 bringt ein Tränenwunder um den Tag Mariae Geburt die mittelalterliche Wallfahrt zur „Weinenden Madonna von Horburg“ in Gang. Aus der Wallfahrt gewinnt die Horburger Kirche beachtliche Einnahmen und kann ab 1460 eine gotische Saalkirche auf den Fundamenten des romanischen Vorgängerbaus errichten. Mittelalterlich sind auch die Ausstattung und viele weitere Kunstwerke im Raum: Taufstein, Sakramentsnische, Kruzifix und Figuren einer Krönungsgruppe.

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Sakramentsnische © TRANSARA
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Figuren der Krönungsgruppe © TRANSARA
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Kruzifix © TRANSARA
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Inschrift hinter dem Altar © TRANSARA

Im 18. Jahrhundert werden Fragmente der Madonnenskulptur im Altar eingemauert und vergessen. Die Ausstattung und Ausmalung der Kirche geht verloren oder wird auf dem Dachboden eingelagert. Bei umfangreichen Baumaßnahmen wird 1930 die Altarwand geöffnet und der Kopf der Madonna freigelegt. Weitere Teile wurden im Altartisch gefunden. Die Skulptur wird daraufhin restauriert. Ein Jahr lang wird die Horburger Madonna in der Kirchen- und Kunstwelt gefeiert. Die neue malerische Ausgestaltung des Kirchenschiffs und des Taufsteins erfolgt ebenfalls während der Renovierung um 1930.



Der Verein hat sich für eine sukzessive Restaurierung der Kirche eingesetzt. Realisiert sind bereits eine Versetzung der Horburger Madonna an die Südostwand und der Einbau einiger neuer Glasfenster des Künstlers Joachim Poensgen (1931 – 2023).

Bereits saniert ist die Kapelle im Turmfuß, die ebenfalls mit neuen farbigen Fenstern ausgestattet  wurde.

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Innenraum mit Plakaten, 2024 © TRANSARA

Der Verein engagiert sich für eine weitere Erforschung der Geschichte der Kirche und der Kunstwerke sowie ihre Bewahrung. Zugleich wurden mit einem Architekturbüro Entwürfe entwickelt, die ein ganz eigenes, eher einseitig liturgisch gegründetes Programm haben. Ob damit die aktuelle Multifunktionalität der Kirche gestärkt wird? Oder soll hier vereinheitlicht werden, was in Baugeschichte und Nutzung widersprüchlich und spannungsreich ist?


Sakral

Unterschiedliche Nutzungslogiken haben sich mit ihren je eigenen Gegenständen in den Raum eingezeichnet. Manches wirkt improvisiert, anderes zeugt von hoher Expertise. Bildung zu Raum und Kunstwerken (Plakate und Schilder, Flyer etc.), Angebote für persönliche spirituelle Praxis (ein Gästebuch auf dem Lektionar, ein Tisch mit Kerzen und Liederbüchern) und Ausstattung für Veranstaltungen verraten die vielfältige Nutzung – und die Aneignungsprozesse unterschiedlicher Menschen und Interessen. Diese Aneignungen mögen zuweilen irritieren, sie sichern jedoch die Unterhaltung der Kirche mit finanziellen und personellen ehrenamtlichen Ressourcen deutlich ab.

Wie für Kirchbau- und Fördervereine in Ostdeutschland typisch, spielt Kirchenmitgliedschaft und Religiosität im Verein keine unterscheidende Rolle. Das Interesse am Kulturerbe und der Dorfgemeinschaft verbindet. En passant wird aber auch religiöses Wissen tradiert, Interesse für theologische Hintergründe geweckt und nicht zuletzt spirituelle Praxis wachgehalten – von den Teelichtern zum Anzünden und frischen Blumen auf dem Altar bis hin zur ehrenamtlichen Andacht beim Pilgercafé.

Manchmal blendet die Geschichte einer einst leeren und verschlossenen Kirche, die vom Verein zu neuem Leben erweckt wurde, die durchgehende gottesdienstliche und gemeindliche Nutzung der Horburger Kirche ein wenig aus. Nicht immer ist die Zusammenarbeit einfach – muss doch die Kirchengemeinde mit der Pfarrerin einige Dörfer weiter längst regionalen Logiken folgen. Fördervereine ticken demgegenüber ganz lokal. Eigensinnig, aber auch eigenverantwortlich, soweit es möglich ist.


TRANSARA-Perspektiven

Eine Transformation hin zu einer Öffnung als Kirche am Weg und als sozialer Ort im Dorf, wie wir sie im ostdeutschen Untersuchungsraum ganz häufig finden. Unterschiedliche Nutzungen finden sich im selben Raum wieder (Simultaneität). Die institutionelle Schwächung der Ortsgemeinde wird aufgefangen durch zivilgesellschaftliches Engagement, das sich an der Bedeutung des Gebäudes als Kulturerbe entzündet, aber auch religiöse Dimensionen integriert. Solche Initiativen entstehen oft sehr kontingent und sind wenig planbar: Zuzug von engagierten Einzelpersonen oder Familien, eine Landesausstellung, eine Veranstaltung, die Lust auf mehr macht.

Die Transformation der denkmalgeschützten mittelalterlichen Kirche hat sich bislang überwiegend in der Nutzung gezeigt, räumlich hat sich wenig verändert  und auch nur in einem Maße, wie es auch bei einer reinen Nutzung durch die Kirchengemeinde möglich gewesen wäre. Kunsthistorisch spannend sind die unterschiedlichen Narrative zur Horburger Madonna vom Wunderbildnis der mittelalterlichen Pilgerkultur bis hin zur heimattümelnden Wiederentdeckung in den 1930er Jahren und der überregionalen Aufwertung nach der Wende im Rahmen der Landesausstellung „Naumburger Meister“. Zu all diesen Narrativen der Madonnen-Verehrung gibt es ein und diesselbe architektonische Raumhülle, an der sich aber die Spuren der Transformationen ablesen lassen - wenn man denn weiterhin wie bisher substanzerhaltend und patinaschützend mit ihr umgeht.

Wir sehen eine Gleichzeitigkeit verschiedener Religiositäten, die mit dem Begriff „säkular“ schwer zu beschreiben ist. Und zwar anhand der Passion des Vereins für die Kirche und die Madonna. Das Fallbeispiel stellt die Frage nach den Verständnissen von Religiosität.


Links und Literatur

  • Giesau, Hermann, die Muttergottesstatue in Horburg, ein Werk des Naumburger Meisters, in: Giesau, Hermann/ Grote, Ludwig (Hg.): Jahrbuch der Denkmalpflege in der Provinz Sachsen und Anhalt, Magdeburg 1931, 18-25.
  • Karrasch, Petra, Ein europäischer Kunstschatz in der Horburger Marienkirche, in: Stadermann, Johannes (Hg.): Au(g)enblicke. Bd. 2: Streifzüge durch die Elster-Luppe-Saale-Aue, Halle/Saale 2012, S. 291-302.
  • Krohm, Hartmut / Kunde, Holger (Hg), Der Naumburger Meister. Bildhauer und Architekt im Europa der Kathedralen, Bd. 1 und 2, Ausst.-Kat. Landesausstellung Sachsen-Anhalt 29.06.-02.11.2011, Petersberg 2011.
  • Saal, Walter, Baudenkmale und historische Gedenkstätten im Kreis Merseburg, Merseburg 1980, 27.

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