Universität Bonn

Transformationslandschaften_DE

Deutzen, Ökokirche / St. Konrad

Grünkohl statt Braunkohle

Baujahr: 1954-56
Architekt:
Andreas Marquart
Denkmalstatus:
ja

kath. Filialkirche der Großpfarrei St. Edith Stein Limbach-Oberfrohna

Umbau: nein
Entwidmung:
nein
Verkauf: nein

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Außenansicht von Südosten © Joeb07, CC BY 3.0, via Wikimedia Commons

Konfession: katholisch

Trägerschaft: Kath. Pfarrei St. Edith Stein / Verein Ökokirche e.V.

Lage / Adresse: An der Kirche, 04575 Neukieritzsch OT Deutzen
am Ortsrand des Neukieritzscher Ortsteils Deutzen gelegen; ländlicher Raum in der Braunkohlelandschaft, ca. 30 km Entfernung nach Leipzig


Bau

Verputzter Saalbau mit niedrigem Anbau am Chor und seitlich angestelltem Glockenturm mit Eingangshalle. Das Kirchenschiff und der Glockenturm verfügen über Rundbogenfenster, der Chorbereich mit geradem Abschluss ist durch seitliche, fassadenhohe Fenster belichtet.

Transformation

Ökumenisch-ökologischer Bildungsort im Braunkohlegebiet

Schon in den 1980er Jahren war die große Deutzener Kirche ein Kristallisationspunkt ökologischer Bewegungen: Im Garten hinter St. Konrad wurden Umweltgottesdienste gefeiert, um gegen die Umweltzerstörung durch die Braunkohlewirtschaft zu protestieren.

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Pflanzaktion im Permakulturgarten © Ökokirche e.V.

Heute, in Zeiten der Klimakrise und des Strukturwandels der Tagebauregion, knüpft der Verein Ökokirche e.V. an diese Traditionen an und organisiert in und um St. Konrad herum ökologische und soziale Projekte wie z. B. einen Permakulturgarten. Damit wird die Kirche, die der schrumpfenden katholischen Gemeinde als Gottesdienstraum zu groß geworden ist, zu einem Ort für Austausch, Lernen und Begegnung weiterentwickelt. Eine Übernahme der Immobilie durch den Verein sowie bauliche Veränderungen sind bisher aber nicht erfolgt.


Raum

Katholische Heimat in der Diaspora

Der entstehende Braunkohletagebau zog ab 1910 Arbeiter aus Bayern und Schlesien mit ihren Familien in die Region südlich von Leipzig. So kamen auch zahlreiche Katholik*innen ins evangelisch geprägte Deutzen und brauchten bald einen eigenen Gottesdienstraum. 1954 wurde der Grundstein gelegt; 1956 weihte der Bischof Dr. Otto Spülbeck die Kirche St. Konrad. Beim Bau fanden sowohl Trümmer der kriegszerstörten Leipziger Trinitatiskirche als auch eigens gespendetes Bauholz aus Bayern Verwendung. 1977/78 wurden die Empore und damit auch der abgetrennte darunter gelegene Eingangsbereich vergrößert.

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Blick zur Empore und zur Eingangshalle © TRANSARA
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Fenster im Altarraum © TRANSARA
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Altarbild von Georg Nawroth © TRANSARA

Eine Besonderheit dieses Kirchenraums ist seine Ausrichtung nach Westen statt wie üblich nach Osten. Anstelle eines Kruzifixes dominiert eine Darstellung des Auferstandenen von Georg Nawroth den Altarraum. Die schlichte Formensprache des Baus ist für die Nachkriegszeit in der Region typisch. In Verbindung mit der komplett aus der Erbauungszeit erhaltenen Ausstattung führte dies dazu, dass die Kirche 1997 unter Denkmalschutz gestellt wurde.


Sakral

Entgrenzung des Sakralen

Was das Christliche, das Sakrale in einer säkularen Gesellschaft sein kann, in der ein so großer Raum wie St. Konrad sich nicht mehr zur Heiligen Messe mit Menschen füllt, lotet ein Kreis von Engagierten mit dem Projekt „Ökokirche“ aus. Sie beziehen dabei ganz selbstverständlich die Umgebung des Kirchengebäudes mit ein. Unter dem Stichwort „Permakultur“ wird mitten im ehemaligen Braunkohlegebiet und beinahe neben einem der modernsten Kohlekraftwerke Deutschlands erkundet, wie nachhaltiges Leben im Einklang mit der Schöpfung als Gegenentwurf zum Ausbeuten der Ressourcen gelebt werden kann. So transformiert sich weniger der Raum selbst – bauliche Veränderungen sind bisher nicht umgesetzt worden – sondern die Idee von Kirche, die hier praktiziert wird. Dass dieses Engagement konfessionsübergreifend gelebt wird, versteht sich fast von selbst.

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Weihnachtsmarkt an der Ökokirche © TRANSARA

Neben dem zentralen Thema der Ökologie und Nachhaltigkeit strebt die Ökokirche auch eine sozialräumliche Verankerung an und sucht dazu den Kontakt zu lokalen Vereinen. Gesellige Formate bringen die Familien vor Ort zusammen und führen so manche Anwohnerin das erste Mal überhaupt in die Kirche hinein. Ganz pragmatisch wird die Kirche als größter Raum des Orts zuweilen auch für Bürger*innen-versammlungen genutzt.


TRANSARA-Perspektiven

Der Verein hat den Raum bisher wenig angetastet und strebt somit keine verfrühte Festlegung an. Die Hoffnung, durch das ökologische Engagement auch den Ort und die Umgebung wieder zu beleben, enthält viel Entwicklungspotential, wird aber nur zögerlich angenommen. Es würde sich beispielsweise anbieten, hier ggf. eine von außen kommende Nutzungskonzeptionierung anzuregen (z.B. Netzwerk Zukunftsorte), um den Verein zu entlasten und einer Überforderung der Ehrenamtlichen vorzubeugen. Aus liturgiewissenschaftlicher Perspektive ist bemerkenswert, dass die Kirche nicht profaniert wurde und man sie dem Verein für hybride Nutzungen überlassen hat. Die Nutzung durch Vertreter*innen unterschiedlicher Weltanschauungen macht diese Kirche zu einem Erfahrungsort von Konfliktbewältigung und Toleranzeinübung.

Die Ökokirche stellt aus praktisch-theologischer Sicht ein interessantes Beispiel einer sozialraumorientierten und partizipativen Neunutzung dar. Die Suchbewegungen der Vereinsmitglieder, die Vernetzung in den Ort und die Erkundung möglicher Kooperationspartner im Bildungsbereich und der Regionalentwicklung sind positiv hervorzuheben. Überzeugend am Konzept ist außerdem die Verknüpfung von Ökumene und Ökologie, die an langfristige Traditionslinien anknüpft. Für die zukünftige Entwicklung wird entscheidend sein, ob sich personelle und finanzielle Ressourcen finden, die das Konzept langfristig tragfähig machen.

Aus architekturhistorischer und denkmalpflegerischer Sicht ist die angedachte Transformation der Nachkriegskirche in Deutzen zu einem ökumenisch-ökologischen Treffpunkt in der Region positiv zu bewerten, da sie den Erhalt des Kirchengebäudes inklusive umliegendem Gartengrundstück ermöglicht. Für das Außengelände mit angelegtem Permakulturgarten überzeugt das ökologisch-sozialräumliche Konzept, für den Kirchenraum selbst ist die Konzeptionierung allerdings bis jetzt zu unspezifisch, so dass hier die Gefahr einer fehlenden nachhaltigen Neunutzung besteht.

Aus Sicht der Immobilienwirtschaft weist die Ökokirche in ihrer bisherigen „Konzeption“ eklatante Mängel auf. Das Objekt verfügt über einen ausgeprägten Instandhaltungsbedarf, gleichzeitig fehlen jedoch Ansätze, um nachhaltige Einnahmen und somit die wirtschaftliche Tragfähigkeit sicherzustellen. Das wirtschaftliche Konzept basiert bisher vor allem auf den Annahmen, dass Spenden, Zuschüsse der Diözese und ehrenamtliche Arbeit das wirtschaftliche Überleben sichern. Das „grüne“ Branding als Ökokirche erfolgt ohne jegliche Machbarkeitsstudie oder Marketingstrategie und wird von der örtlichen Bevölkerung noch zu wenig angenommen. Zum aktuellen Zeitpunkt ist die Ökokirche aus immobilienwirtschaftlicher Sicht eher als Idee und weniger als zukunftsfähiges Transformationskonzept zu erachten.

Aus Sicht einer diskurskritischen Praktischen Theologie zeigt sich: Die Menschen in der Ökokirche befassen sich mit Permakultur und den ökologischen Folgen des Bergbaus. Doch Akteur*innen sind hier eben nicht nur die Menschen, sondern auch die Dinge, Tiere und Pflanzen. Dadurch stellt sich die interessante Frage nach Anfang und Ende, also den Grenzen von Sakralräumen. Die Ökokirche zeigt, dass ein Sakralraum nicht an der Tür oder mit den Wänden aufhören muss. Er wird hier quasi nach außen gedehnt und ist dadurch größer als der Kirchenraum.


Links und Literatur

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