Universität Bonn

Transformationslandschaften_DE

Transformationen von Nachkriegskirchen in West und Ost

Umnutzungstypen und -praktiken im Raum Aachen – mit Bezügen zum Raum Leipzig

Teilprojekt 3 Kunstgeschichte, Universität zu Köln

Das Projekt an der Universität zu Köln forscht zu kunsthistorischen Prozessen bei Sakralraumtransformationen in den Räumen Aachen und Leipzig. Der Schwerpunkt liegt auf der Erarbeitung einer vergleichenden Systematik zu Transformationsprozessen bei Nachkriegskirchen. Diese Bautengruppe aus den 1950er bis 80er Jahren untersteht einem besonderen Transformationsdruck, da sie häufig als erste „außer (Gottesdienst)Betrieb“ genommen wird.

Für den Untersuchungsraum Aachen entstand ein Ranking der Umnutzungstypen sowie eine Systematik typischer Umbaumodi für Nachkriegskirchen. Hierbei wurden die Koordinaten der Bau- und Erinnerungskultur in Bezug auf ihre Potenziale sowie Einschränkungen zu Grunde gelegt. Auch wurden erste Vergleiche mit der Transformation von Nachkriegskirchen im Raum Leipzig angestellt.


Nutzungsstatus der Nachkriegskirchen im Raum Aachen

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Nutzungsstatus der Nachkriegskirchen im Raum Aachen (Stand: November 2023) © TRANSARA

Seit 2020 führt Teilprojekt 3 eine empirische Studie zu transformierten Nachkriegskirchen im Raum Aachen durch, ausgehend von einer 2009-2014 erfolgten Inventarisation des LVR-Amtes für Denkmalpflege im Rheinland. Hier wurden für den Raum Aachen 236 katholische sowie evangelische Nachkriegskirchen und Gemeindezentren aus den 1950er-80er Jahren erfasst, die damals noch nicht unter Denkmalschutz standen. 

Wir haben überprüft, welche Nutzungstransformationen diese Bautengruppe knapp zehn Jahre nach der ersten Erfassung (2014-2023) erfahren hat und nach Abrissen, Stilllegungen und Umnutzungen gefragt, sowie die häufigsten Umnutzungstypen herausgearbeitet. Bei der statistischen Auswertung war es aufgrund der sich manchmal schnell und unbemerkt wandelnden Verhältnisse bei Nachkriegskirchen wichtig, einen genauen Zeitpunkt anzugeben: hier war der Stand im November 2023.

Das Diagramm zum Nutzungsstatus zeigt an, wie viele der vor knapp 10 Jahren erfassten 236 katholischen und evangelischen Nachkriegskirchen im Raum Aachen bis zum November 2023 noch als Gottesdienstraum in Betrieb sind (72%), wie viele umgenutzt worden sind (13%) bzw. demnächst umgenutzt werden, wie viele abgerissen bzw. teilabgerissen wurden (8%, 1%), wie viele leer stehen und wie viele neu gebaut worden sind (9%).

Umnutzungstypen

Die Auswertung von transformierten Nachkriegskirchen im Raum Aachen ergab ein Ranking der häufigsten Umnutzungstypen.

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Umnutzungstypen bei Nachkriegskirchen im Raum Aachen (nach Häufigkeit) © TRANSARA

Ranking der Umnutzungstypen im Raum Aachen (nach Häufigkeit, mit Beispielen)

1. Andere religiöse Gemeinschaft

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Krefeld, St. Barbara © TRANSARA

2. Kolumbarium

3. Soziales Zentrum

4. Kita

5. Wohnen

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Krefeld, St. Norbertus © TRANSARA

6. Bücherkirche

7. Geflüchteten-Unterkunft

Umbaumodi

Vier typische Umbaumodi konnten aus der Nachkriegskirchen-Auswertung für den Raum Aachen herausgearbeitet werden.

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Krefeld, St. Barbara © TRANSARA

Typ 1 steht für Neues Design und eine rein dekorative Umgestaltung des Kirchenraumes, wie es z.B. bei der Wandbemalung mit Fresken bei der Umnutzung durch eine orthodoxe Gemeinde vorliegt.

Typ 2 unter dem Stichwort „Möblierung“ beinhaltet die flexible Raumkonfiguration und Abtrennung von Raumbereichen durch Möbel, Stellwände oder Vorhänge.

Typ 3 ist das baulich aufwendigere Raum-im-Raum-Prinzip mit dem Einbau von Raumkörpern in den Kirchenraum.

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Krefeld, St. Norbertus © TRANSARA

Typ 4 gilt als der Totalausbau, der meist mit einer Entkernung bzw. einem Einbau von durchgehenden Zwischengeschossen einhergeht.

Ausblick und Vergleich: Transformationsmodelle bei Nachkriegskirchen im Raum Leipzig

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Leipzig, Turm der Trinitatiskirche 2, 2021 © TRANSARA
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neue Wohnbebauung um den Turm, 2024 © TRANSARA

Das wohl bekannteste Beispiel für eine „verspätete“ Nachkriegskirche aus dem devisenbringenden Sonderbauprogramm der DDR in den 1980er Jahren ist die katholische Propsteikirche St. Trinitatis Nr. 2, die 1982 als brutalistischer Bau mit Gemeindezentrum und Betoncampanile in nordwestlicher Stadtrandlage von Leipzig errichtet wurde. 2015 erfolgte der Neubau der Trinitatiskirche Nr. 3 in der Innenstadt Leipzigs und die Kirche aus den 1980ern wurde trotz Unterschutzstellung 2017 verkauft und 2018 bis auf den Kirchturm abgerissen, um für eine Wohnbebauung Platz zu machen, die seit 2023 in großem Stil erfolgt ist. Der Campanile erscheint nun eher wie ein Fragment und stehen gelassener Betonpfeiler der neuen Bebauung, denn als „Erinnerungs-Stele“ der untergegangenen Nachkriegskirche.

Drei der Fallbeispiele aus dem Untersuchungsraum Leipzig lassen sich mehr oder weniger der unmittelbaren Nachkriegszeit in den 1950er Jahren zuordnen.

Die katholische Konradskirche in Deutzen, im ehemaligen Braunkohlerevier nordwestlich von Leipzig, wird seit 2020 von der katholischen und evangelischen Gemeinde als Projekt „Ökokirche“ betrieben, mit Anlage eines Permagartens um die Kirche herum und vielen öffentlichen Veranstaltungen, die auch im Inneren der Kirche stattfinden. Hierzu gab es bis jetzt keine größeren Umbaumaßnahmen des denkmalgeschützten Nachkriegskirchenraums – die Transformation findet hier also unreglementiert und ohne viel Nachnutzungsdruck statt.

Die zwei weiteren Kirchen, die „Zirkuskirche“ in Großkayna und die Geiseltalseekirche in Mücheln, sind beide bereits in den 1920/30er Jahren errichtet worden, haben aber starke Zerstörungen im Zweiten Weltkrieg erfahren und wurden entsprechend in der Nachkriegszeit wiederaufgebaut. Hier ergibt sich eine erstaunliche Parallele zur Wiederaufbaudynamik von stark zerstörten Kirchen im Raum Aachen, die aus („katholischen“) Raumbedarfsgründen und oft auch als „Do-it-Yourself“-Maßnahmen in den 1950er Jahren erfolgt sind.

Die ehemalige katholische Kirche Heilige Drei Könige in Großkayna mit angebautem Pfarrheim wird seit 2013 von einem Privatbetreiber als „Zirkuskirche“ für Kinder und Jugendliche umgenutzt, hierfür ist bis jetzt ein Ausräumen des Kirchenraums sowie eine neue Möblierung mit Fußbodenmatten und Vorhängen erfolgt (Umbaumodus Typ 2).

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© TRANSARA

Die ehemalige katholische Kirche Herz Jesu in Mücheln am Geiseltalsee, einer rekultivierten Braunkohleregion, wurde 2006 profaniert, wird aber dennoch von einem engagierten Förderverein vor Ort als Kirchenraum gepflegt und offengehalten. In der erhaltenen Ausstattung aus der Nachkriegszeit finden sich Erinnerungsstücke wie die Glasscheiben in der Eingangstür mit Darstellung der damaligen Kohlegrube Elisabeth.

Bau- und Erinnerungskultur bei Nachkriegskirchen

Die These von Teilprojekt 3 lautet, dass die Bau- und Erinnerungskultur von Nachkriegskirchen bei Transformationsprozessen nach wie vor zu wenig erkannt und wertgeschätzt wird. Daher kommt es häufig zu Aufgabe, Leerstand und Abriss des Gebäudes, ohne die vorhandenen Potenziale einer Umnutzung ausgeschöpft zu haben.

Einschränkungen

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© TRANSARA

Die Einschränkungen beruhen teilweise auf Fakten, sind größtenteils aber auch stark von Vorurteilen und Klischees beeinflusst: Nachkriegskirchen werden im Unterschied zu älteren Kirchen nicht als „richtiger Sakralraum“ wertgeschätzt und gelten als „hässlich“. Sie erfordern aktuell einen hohen Sanierungsaufwand. Wenn Nachkriegskirchen Denkmäler sind, ist eine bauräumliche Transformation aufgrund hoher Auflagen begrenzt. 

Als Beispiel ist hier die Kirche St. Johann Baptist in Herzogenrath-Merkstein von Emil Steffann von 1962 angeführt, die seit 2022 wegen Schimmelbefall geschlossen ist.

Potenziale

Die Potenziale wiederum müssten in der aktuellen Debatte vielleicht noch mehr ins Spiel gebracht werden:

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© TRANSARA

 Nachkriegskirchen sind eben, so lange sie nicht abgerissen werden und auch mit einem niedrigen oder fehlenden Kirchturm, eine symbolische Markierung im Stadtbild und im Wohnviertel, so z. B. bei der inzwischen ökumenisch zusammengelegten Pius-Lukas-Kirche in Krefeld-Gartenstadt von Josef Lehmbrock von 1968.

Sie sind Zeugnis des demokratischen Wiederaufbaus, sie waren und sind der Raum der Lebenszäsuren wie Taufe, Kommunion, Konfirmation, Jugendweihe, Hochzeit und Beerdigung, selbst wenn sie heute nicht mehr als Gottesdiensträume „in Betrieb“ sind, wie z. B. die Geiseltalsee-Kirche in Mücheln. Sie bieten besondere architektonische Räume mit spezieller Atmosphäre, und schließlich sind sie eine baumaterielle Ressource mit flexiblem Raumangebot und Grauer bzw. Goldener Energie.

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© TRANSARA
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